Erst etwas komplett, ja, disruptiv Neues zeigt uns, wie lächerlich manche Dinge sind, die wir seit langer Zeit machen oder die wir für richtig erachten. Ich hatte nun den eher fragwürdigen „Genuss“, einen Audi A4 aus dem Jahr 2018 zu fahren. Im Vergleich zu einem Tesla Model 3 sieht man erst, wie gross die Differenz zwischen beiden Fahrzeugen wirklich ist. Ein Fahrbericht.
Vor einem Jahr habe ich für meinen Vergleich einer Mercedes A-Klasse mit dem Tesla Model S Kommentare erhalten, dass beide Fahrzeuge nicht vergleichbar wären. Akzeptiert. Dann vergleiche ich nun das Tesla Model 3 Standard Reichweite Plus (M3) mit seinem Mitbewerber Audi A4. Da der A4 ein Mietwagen war, weiss ich allerdings nicht genau, was zur Basisaustattung zählt, vermute aber, dass dies nicht viel sein dürfte.
Preis
- A4: ab CHF 44‘500
- M3: ab CHF 44‘990
Innenraum
- A4: Ein gewohnt hohes Mass an Qualität auf manuell zu verstellenden Stoffsitzen ohne Sitzheizung.
- M3: 12-fach elektrisch verstellbare Premium-Sitze aus veganem Leder mit Sitzheizung.
Luftqualität
- A4: Die Klimaanlage verteilte ihre Luft auf die bekannte Art über vier Düsen. Was allerdings diese Luftschlitze ohne Funktion am Armaturenbrett darstellen sollen, konnte ich nicht feststellen. Der A4 verfügt über eine manuelle Umluftschaltung, so dass häufig stinkende Luft in den Innenraum dringt, bevor man diese manuell unterbinden kann.
- M3: Die Luftleistung der Klimaanlage lässt sich punktgenau einstellen. Ein automatischer Luftgütesensor sorgt für immer gute und reine Luft im Innenraum.
Fahrzeugbedienung und -Konfiguration
- A4: Bremse nicht treten (sonst würde gleich der Motor angehen), Start-Stopp-Knopf drücken. Bedienen
- M3: Bedienen.
Bildschirm
- A4: Mei, ist der Bildschirm süss! Und erst die Auflösung! Als wären wir in den frühen 2000er Jahren stehen geblieben. Auf der Distanz zu den Augen der fahrenden Person erscheint dieses Display wie das damalige Nokia 6310. Eine gute Übersicht kann man dort nicht erwarten. Man muss alles mühsam über das MMI-Rad bedienen.
- M3: Ein riesiges Touch-Display erleichtert die Bedienung genauso wie wir dies seit 2007 an unseren Smartphones und Tablets kennen und lieben, als Apple das iPhone vorstellte. Zur Erinnerung: Auch Nokia hat lange an dedizierten Knöpfen und kleinen Bildschirmen festgehalten.
Navigation
- A4: Neben Mercedes kennt auch Audi viele Strassen immer noch nicht, obwohl diese bereits seit Jahren vorhanden sind. Ernsthaft, diese Hersteller verkaufen Neufahrzeuge in Regionen, für die das Kartenmaterial für Autobahnen und Autobahn-ähnliche Strassen vor 5 Jahren stehengeblieben ist. Eine verkehrsabhängige Navigation kann der Fahrer bei Audi nicht erwarten. Deswegen braucht Audi z.B. Apple CarPlay, damit man wenigstens neuestes Kartenmaterial zur Verfügung hat. Die Karten werden dadurch zwar aktueller, die schlechte und unübersichtliche Auflösung des Displays aber nicht. Nur muss man dazu sein Smartphone immer zuerst anstöpseln und mit dem MMI-Bedienrad Auswahlen treffen.
- M3: Dank Google Maps sind die Karten und allfällige Staus immer kostenfrei aktuell und werden auf dem grossen Display angezeigt.
Knöpfe und Schalter
- A4: Die Plätze des Kapitäns und des Piloten im Space Shuttle waren bestimmt ähnlich, denn überall sind Knöpfe und Schalter. Die fahrende Person soll sich wohl so fühlen, als pilotiere sie das Space Shuttle. Echt macho. Aber das Space Shuttle fliegt seit 2011 nicht mehr. Schalter und Knöpfe sind überall verteilt, aber deren Funktion wird erst durch die Lektüre der Bedienungsanleitung verständlich. Klicken hier, drehen dort. Das soll ja sehr ergonomisch sein, verschwendet aber viel Platz im Innenraum. Wer auf die Suche geht, findet sogar Knöpfe gut verborgen unter dem Lenkrad.
- M3: Ein Bildschirm, alles an seinem Platz. Dafür viel Platz im grossen Innenraum.
Fahrzeug starten und losfahren:
- A4: Bremse treten, Startknopf drücken, Ganghebelsicherung drücken, Schalthebel in den gewünschten Gang einlegen. Immerhin muss man nicht mehr die Parkbremse lösen!
- M3: Bremse treten, gewünschten Gang einlegen.
Reichweite
- A4: Zugegeben, die 940 km bei diesem Diesel ist ein Wort. Nur, wofür braucht man diese Reichweite? Gibt es bereits ein Tankstellensterben?
- M3: 415 km reichen mehr als aus für alle Eventualitäten in Europa. Sollte es einmal weiter gehen, hat Tesla das beste und flächendeckenste Schnellladenetz der Welt.
Leistung
- A4: Im Blog-Post beschreibe ich den Mietwagen, der als Automatik-Diesel vermutlich 110 kW hatte. Das Basismodell des A4 ist ein manuell geschalteter, Front-angetriebener 1.4 L TFSI Benziner mit 90 kW und einer Beschleunigung von über 10s von 0-100km/h.
- M3: Heck-angetriebene 190 kW, 5.6s für 0-100km/h
Fahrqualität
- A4: Ohne zu ruckeln kann auch ein automatisch-geschalteter A4 nicht losfahren: es zuckelt und ruckelt überall.
- M3: Der schaltfreie Eingang-Motor lässt sich sehr fein beschleunigen und entschleunigen.
Lärmemissionen
- A4: Das Diesel-Knattern haben die Audi-Ingenieure immer noch nicht entfernen können. Im Innenraum hört man das zwar weniger, aber ausserhalb ist der A4 kein Leisetreter, auch nicht im Stillstand.
- M3: Keine. Die Nachbarn und Passanten freuen sich, und die Stadt bleibt leise.
Abgasemissionen
- A4: Naja, es ist halt ein Verbrenner. Dies bedeutet todbringende Abgase ohne Ende. Wie lange mit diesem Fahrzeug noch in die Innenstädte gefahren werden darf, ist unbekannt.
- M3: Keine. Die Passanten freuen sich, und in Tiefgaragen gibt es keine dicke Luft.
Geschwindigkeitsregler
- A4: Wenn die Basisversion über einen Tempomat verfügen würde, dann hätte dieser keine Abstandssensoren, d.h. man muss den Tempomat ständig deaktivieren und reaktivieren, wenn langsamere Fahrzeug die forsche Fahrt verhindern.
- M3: Autopilot einschalten und zurücklehnen. Der Autopilot passt die Geschwindigkeit dem Verkehr an.
Automatischer Spurhalteassistent
- A4: Fehlt.
- M3: Autopilot einschalten und zurücklehnen. Der Autopilot hält das Fahrzeug in der Spur.
Automatischer Spurverlasswarner
- A4: Fehlt
- M3: Vorhanden. Da aber der Autopilot fährt, ist der nur in Ausnahmen notwendig.
Einparkhilfe
- A4: Fehlt.
- M3: Die serienmässige Einparkhilfe arbeitet fehlerfrei.
Abstandssensoren
- A4: Wenn die Basisversion über Abstandssensoren verfügen würde, dann piepst der Annäherungsalarm nur beim Rückwärtsfahren. Was die Töne allerdings bedeuten, muss die fahrende Person erst erlernen. Da eine Rückkamera fehlt, muss der Fahrer mittels dreier Spiegel und dem Prinzip „da wird schon nichts Kleines hinter dem Auto sein“ rangieren. Beim Ausparkieren aus einer Parklücke in den fliessenden Verkehr muss man herannahende Fahrzeuge erahnen.
- M3: Die Abstandssensoren wirken 360 Grad um das Auto herum. Die Rückkamera zeigt dem Fahrer ein weitwinkeliges, vollständiges Bild der rückwärtigen Umgebung.
Fahrzeug abstellen
- A4: Bremse treten, Schalthebel auf Park stellen, Parkbremse aktivieren, Start-Stopp-Knopf drücken. Wieso läuft der Motor weiter oder warum muss ich die Parkbremse betätigen, wenn der A4 in Parkstellung ist? Weil wir es immer so gemacht haben.
- M3: Bremse treten, Schalthebel auf Park stellen. Fertig.
Ein Wort noch zur Start-Stopp-Automatik beim A4. Die ist lächerlich, denn sie funktioniert nur, wenn man die Bremse fest durchdrückt. Stillstand und ein leichtes Drücken reichen genausowenig wie die Parkstellung, um den Motor abzustellen. An einer Steigung oder einem Gefälle funktioniert sie auch nicht.
Fazit
Wer häufig 940 km ohne Pause, also ohne WC- oder Essenspause fährt, der findet im A4, insbesondere dem Diesel, das richtige Auto. Sonst hat der A4 keinerlei Vorteile gegenüber dem Model 3. Wer erst einmal ein Model 3 gefahren hat, wird soviel „Retro“ des Audis nicht vermissen. Der A4 erscheint im Vergleich immer noch wie der Audi 80, aus dem er vor 25 Jahren entstanden ist: Abgesehen vom Start-Stopp-Knopf sind das Antriebs- und Bedienungsprinzip noch so wie damals. Audi kann den Slogan „Vorsprung durch Technik“ schon lange nicht mehr rechtfertigen.
Selbstverständlich gibt es bei Audi viele Optionen, die vieles von dem ermöglichen, was das Tesla Model 3 bereits in der aktuellen Basisversion kann. Dann liegt der Preis des A4 aber bei ca. CHF 80’000, wobei das Model 3 dann immer noch nur CHF 44‘990 kostet. Dazu sind die Betriebskosten des A4 generell wesentlich höher als beim Model 3. Zwei Dinge wird dieser A4 allerdings niemals können: mittels Softwareupdate über Nacht noch besser werden oder gar selbst fahren. Wer Letzteres bei Audi sucht, wird sich in ein paar Jahren erneut ein Auto kaufen müssen, während das Modell 3 dies per Software-Update können werden wird.
Objektiv betrachtet, bekommt der Käufer oder die Käuferin beim Tesla Model 3 bereits heute wesentlich mehr für sein oder ihr Geld.