Früher, viel früher, war es ruhig. Wir hörten die Rufe der Tiere, die Bewegungen der Blätter im Wind oder das Meeresrauschen. Doch dann kam der von uns Menschen erzeugte Lärm. Heute sind wir scheinbar abhängig von unserem Lärm. Woher kommt dieser Wunsch nach Lärm anstelle eines Wunsches nach Stille? Können wir uns ein Leben ohne Motorenlärm überhaupt vorstellen?

Die industrielle Revolution brachte den ständigen Lärm

Die industrielle Revolution brachte uns zuerst Dampfmaschinen und später Verbrennungsmaschinen. Die ersten Automobile waren mit Dampf betrieben, dann kamen die ersten Elektroautos und erst danach begann der Siegeszug der Verbrennungsmotoren. Die Herren Benz, Diesel und Ford legten die Grundsteine für den Beginn eines gigantischen Raubbaus an der Natur und der Gesundheit von uns Menschen. Ich spreche nicht von den unsäglichen Schäden, die wir der Natur bei der der Suche nach und Förderung von Öl antun, auch nicht von den Kriegen, die um Öl geführt wurden und immer noch werden, und auch nicht um die Klimakatastrophe, die sich immer deutlicher abzuzeichnen beginnt. Ich spreche vom täglichen aber unnötigen Lärm, der uns alle langsam psychisch kaputt macht.

Wenn man bedenkt, dass die ersten Elektroautos bereits damals in fast allem besser waren als die Verbrenner, muss man sich schon fragen, wie der Siegeszug der Verbrenner vollzogen wurde.

Marketing

Die Frauen mochten die Elektroautos, weil sie leise und sauber ihre Dienste taten. Für die Männer war es aber plötzlich „in“, sich die Hände entweder bei einer Wartung schmutzig zu machen oder sie sich beim Anlassen des Motors zu brechen. Solche Unfälle, aber auch die Abgase, Lärm und Schmutz wurden vermutlich als „männlich“ dargestellt. Die Fahrzeuge konnten gar nicht dreckig und laut genug sein. Welcher Mann wollte damals schon wie eine Frau denken?

Vom Abfall zum Produkt

„Hör Dir diesen Motor an!“

Dies habe ich viele Jahre auch gedacht. Wer, wie ich, das Grollen eines amerikanischen V8 oder gar 40 davon bei den legendären Daytona 500 gehört hat, der ist diesem Klang verfallen. So einen V8-Klang wollte ich auch haben!

Erst im Nachhinein betrachtet wird klar, wie dumm eine solche Aussage ist, denn der Motor an sich ist ja nur Mittel zum Zweck der Fortbewegung. Wer lässt einen Verbrennungsmotor nur wegen des Lärms laufen? Niemand! Und ehrlich gesagt, der Motor und selbst ein V8 oder V10 tönen gar nicht so gut, wenn man ihn sich im Motorraum anhört. Erst am Auspuff „klingt“ der Motor. Dies macht um so mehr deutlich, dass das Auspuffgeräusch so angepasst wird, dass es richtig tönt.

Wieder einmal wurde durch gutes Marketing aus den Abfallprodukten Abgas und Lärm ein Mehrwertprodukt erzeugt! Und die Käufer lassen sich immer noch diesen Bären aufbinden.

Allerdings gibt es auch Verbrenner, deren Motorengeräusche kaum hörbar sind. Und das sind keine Kleinwagen, sondern Verbrenner mit grossvolumigen Motoren. Es ist also technisch durchaus möglich, den Lärm eines Verbrenners so zu regeln, dass die Abgase unhörbar aus dem Auspuff entweichen.

Vermutlich alle Autofirmen haben heute Klang-Designer unter Vertrag, die immense Geldbeträge investieren dürfen, um den Klang eines Autos zu optimieren. Um dies noch einmal deutlicher zu sagen: die Klang-Designer haben den Auftrag, die tödlichen Abgase und den Lärm zu einem Produkt zu machen.

Audi investierte beim aktuellen Modell S3, der Sport-Version des A3, grosse Summen, um aus einem 2-Liter Vierzylindermotor ein Geräusch zu erzeugen, dass nach „Sport“ tönt. Sie konnten es nicht und halfen nach: eine zusätzliche technische Komponente, eine Membran, genannt „Sound Aktuator“, wurde eingebaut, um mehr Lärm zu erzeugen, als der Motor hergibt. Darüber hinaus kann der Kunde sich einen weiteren Resonator einbauen, um am Auspuff eine „Symphony“ (Marketingsprache von Audi) zu erzeugen.

Auch Jaguar suggeriert dem Fahrer ihres neuen elektrischen i-Pace künstlich ein Verbrennungsmotorengeräusch. Wir glauben scheinbar, dass wir uns so sehr an Lärm gewöhnt haben, dass wir ohne ihn nicht mehr können.

Auch die Bemühung der Verbrennerautomobilindustrie, dass jedes Auto einfach lärmen muss, um Passanten zu schützen, stösst bei Gesetzgebern auf offene Ohren. Anstelle, dass alle weniger lärmen, damit Passanten die Umwelt wieder besser erleben können, wollen sie die leisen Autos bestrafen und wieder laut machen.

Ich höre es bereits quasi vor mir: Elektroautos mit V8-Geräusch beim Vorwärtsfahren, Piep-Geräusch beim Rückwärtsfahren und Ping-Geräusch beim Stehen: schöne neue Lärmwelt.

Sind wir eigentlich abhängig von unserem Lärm?

Einer gegen Alle

Ich darf in einer privilegierten Lage erhöht über dem Zürcher Limmattal wohnen und sehe die Wohnungen von Hunderttausenden unter mir. Ich sehe die vier Hauptein- und ausfahrtstrassen von Zürich, die meistbefahrenste Zugstrecke der Schweiz und auch eine der Abflugrouten der Flugzeuge vom Flughafen Kloten. Hier hören wir eigentlich immer Verkehrslärm.

Manchmal, z.B. an einem frühen Sonntagmorgen, ist das Limmattal jedoch ruhig. Es ist dann still, weil kein Flugzeug über uns fliegt, keine Bahn und keine Autos fahren. Stille, wo sonst der Lärm vorherrscht.

Die Differenz von Stille zu dem üblichen Lärm wird plötzlich deutlich, als ein einzelner Verbrenner aus Zürich kommend auf der Autobahn beschleunigt. So schön es für den einen Fahrer auch klingen mag, ist dieser Lärm nun von Hunderttausenden zu hören, d.h. eine Person stört die Sonntagsruhe von Vielen.

Warum tun wir uns das als Gesellschaft an?

Die meisten Grundgesetze kennen einen Passus über die persönliche Freiheit. Diese sprechen deutlich:

„Die Freiheit des Einzelnen ist begrenzt durch die Freiheit des Andern.“

„Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt. … Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit.“

Warum leben wir nicht danach, wenn es um den Lärm von Verbrennungsmotoren geht?

Wenn es also technisch möglich ist, den Lärm eines Verbrenners zu minimieren, warum erlauben wir es, dass die Hersteller das Gegenteil tun? Warum erlauben wir es zudem Nachrüstern, weitere Produkte zu verkaufen, die mehr von etwas herstellt, das unsere Gesellschaft krank macht? Warum verlangen wir nicht gemeinsam nach Ruhe?

Das tun wir eigentlich schon. In Städten wird der Wunsch nach Ruhe immer grösser: die Gesellschaft verlangt nach geringeren Geschwindigkeiten und Durchfahrtsverboten. Dabei geht es vermutlich gar nicht um weniger Fahrzeuge oder geringere Geschwindigkeiten, sondern um weniger Lärm und weniger Abgase. Der Wunsch nach geringeren Geschwindigkeiten ist nur der einzig bekannte Weg, um den Verbrennern Herr zu werden.

Dabei wäre die Lösung einfach: Verbrenner, auch Töffs, dürfen nur noch ein Motoren- und Auspuffgeräusch erzeugen, das dem einer Nähmaschine gleicht, also 50 dB/a. Technisch ist das machbar und den Rest schaffen die Klang-Designer.

Oder wir Alle kaufen Elektroautos. Dann können wir uns wieder jeden Tag so fühlen, als wären wir auf einer fernen Südseeinsel und hören nur das Rauschen der Wellen.

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