„Ich habe ja nichts zu verbergen.“ Das ist der am meisten gesagte Satz von Personen, die kein Problem damit haben, dass Daten über sie erhoben, gespeichert und genutzt werden. Doch diese Menschen erinnern sich dann doch an das Arztgeheimnis und die ärztliche Schweigepflicht. Was würden Sie sagen, wenn Ihre Krankenkasse oder Ihr Arbeitgeber sich das Recht nehmen würden, um bei Ihrem Arzt genauere Informationen über Ihre Krankheiten zu erhalten?
Ihre Krankenkasse weiss immerhin sehr viel über Krankheiten, über die Methoden, die in vergleichbaren Fällen den besten Nutzen gebracht haben und die vielleicht auch kostengünstiger sind. Sie könnte Ihnen helfen, weil Sie mittels Statistiken mehr Erfahrung hat als Ihr Arzt. Und überhaupt, woher wollen Sie wissen, dass Sie mit genau Ihrem Leiden bei dem richtigen Arzt sind? Da hätte die Krankenkasse doch mindestens einen legitimen Grund, um die ärztliche Schweigepflicht auszuhebeln.
Was würden Sie sagen, wenn Ihr Arbeitgeber nicht nur Ihre Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung akzeptieren würde, sondern genau wissen wollte, was sie denn haben, also Ursachen, Wirkungen und Behandlungsmethoden? Er würde dies sogar mit einem persönlichen Interesse an Ihnen begründen, a) um Ihren Wiedereinstieg zu erleichtern, und b) mit einer freundschaftlichen Fürsorgepflicht.
In beiden Fällen würden Sie sagen: „Nein! Auf gar keinen Fall!“ Denn, gegen einen solchen Wissensdurst haben wir aus gutem Grund Gesetze geschaffen. Warum? Weil eine latente Gefahr des Missbrauchs in dem Wissen um solche, sehr persönlichen Daten besteht. Ihr Arbeitgeber könnte Sie mit dem Wissen um Ihr Leiden, nicht mehr zur Beförderung vorschlagen, Ihnen keine Lohnerhöhung zusprechen oder Sie bei der nächsten Möglichkeit entlassen. Und Versicherungen? Sie wissen vermutlich bereits wie Versicherungen ticken.
Taggeldversicherungen
Ein Freund bat mich um Rat, als er länger krank war und daraufhin eine Versicherung von ihm Einsicht in seine Patientenakte verlangte.
Vielleicht sind Sie einmal länger krank als die gesetzliche Lohnfortzahlung greift, und Ihr Arbeitgeber hat sich bei einer privaten Versicherung gegen die entstehenden Kosten versichert. Die meisten Arbeitgeber machen dies mittels einer Taggeldversicherung. Eine solche Versicherung sichert nicht direkt Sie persönlich ab, sondern Ihren Arbeitgeber vor den Kosten der Lohnfortzahlung ohne den Gegenwert Ihrer Arbeitsleistung.
Nur, eine solche Versicherung hat alles andere als Ihr Wohlergehen im Sinn. Sie sucht nach Wegen, nicht zahlen zu müssen. Und sie wendet hierzu jedes Mittel an. Diese können durchaus gesetzwidrig oder zumindest unrechtens sein.
Einsicht in die Krankenunterlagen
Zuerst wird die Versicherung die Einsicht in Ihre Krankenunterlagen verlangen. Sie nutzt hierzu vermutlich eine zeitlich unbegrenzte Generalvollmacht, mit der Sie jede beliebige Person von der Schweigepflicht entbinden, die Nutzung und Ausnutzung der Daten erlauben und sogar die Weitergabe der Daten an Dritte wie Ihren Arbeitgeber zulassen würden. Zu guter Letzt würden Sie auch noch alle Mitarbeiter der Versicherung von deren Schweigepflicht entbinden.
Sie denken nun, dass ich übertreibe? Hier ist der Auszug einer entsprechenden Einwilligung von einer Versicherung:
„Ich willige ein, dass (die Versicherung) meine Gesundheitsdaten bei folgenden Stellen und Personen erhebt und für diese Zwecke verwendet:
- Externe (medizinische) Gutachter
- Medizinalpersonen und deren Hilfspersonen
- Arbeitgeber
- Sozialversicherer (IV Stellen, UVG Versicherer, AHV Ausgleichskassen, Krankenversicherer, Arbeitslosenkassen usw.)
- Berufliche Vorsorgeeinrichtungen
- Andere beteiligte Privatversicherungen
- Verwaltungs- und Rechtspflegebehörden
- Case Manager
Ich befreie die genannten Personen und Mitarbeiter der genannten Einrichtungen von ihrer Schweigepflicht. Ich bin darüber hinaus damit einverstanden, dass … meine Gesundheitsdaten durch (die Versicherung) an diese Stellen weitergegeben werden dürfen und befreie auch die für (die Versicherung) tätigen Personen von ihrer Schweigepflicht.“
Sind Sie schon entsetzt? Das sollten Sie sein! Wer würde so etwas unterschreiben? Diese Formulierung erlaubt der Versicherung, rechtlich abgesichert Alles zu tun und die Daten mit Allen zu teilen. Sie hebelt sogar die ärztliche Schweigepflicht vollständig aus.
Das Perfide an der Sache ist dann, dass Ihnen die Versicherung auf Nachfrage erklären wird, dass diese Einwilligung nur Fall-bezogen ist, die Einwilligung somit zeitlich begrenzt ist, sie einen starken Datenschutz hat, sie das Datenschutzgesetz befolgt, dies nur eine Standardformulierung ist, sie wissen, dass es bessere Formulierungen gäbe, und Sie, werter Patient, sicher sein können, dass alles in bester Ordnung ist. Nur, steht das in der zu unterschreibenden Einwilligungserklärung nicht.
Nötigung
Um Ihre Unterschrift dennoch zu erzwingen, wenden die Versicherungen nun zwei Tricks an. Erstens erzeugen sie einen zeitlichen Druck, in dem sie Sie auffordern, die Einwilligung „…innert 7 Tagen unterschrieben zu retournieren.“ Zweitens nötigen sie Sie, in dem sie Ihnen deutlich machen, dass sie leider einer Zahlungsverpflichtung nicht nachkommen können, wenn Sie nicht unterschreiben.
„Sollten Sie die Einwilligung nicht unterschreiben, können wir keine Zahlung für Sie vornehmen und Sie bekämen keinen Lohn.“
Stellen Sie sich einmal das folgenden Szenario vor: Sie liegen im Spital, können kaum denken und haben Angst, bald keinen vollen Lohn mehr zu erhalten. Was würden Sie tun? Fühlen Sie sich genötigt zu unterschreiben? Würden Sie gerne einen Anwalt zu Rate ziehen? Würden Sie. Aber Sie können nicht, denn Sie liegen ja im Spital.
Kontrolle der Ärzte
Die Versicherungen haben ein unglaubliches Mass an Misstrauen gegenüber Ärzten. Sie vermuten wohl Gefälligkeitsdienste in Form von zeitlich unnötig langen Krankschreibungen. Es geht den Versicherungen hierbei nicht um die Kosten der Therapie, denn sie bezahlen diese Kosten nicht, sondern darum, gegenüber Ihrem Arbeitgeber nicht mehr zahlungspflichtig sein zu wollen. Sie stellen damit alle Ärzte und alle Patienten unter Generalverdacht, statt konkrete Verdachtsfälle einer speziellen Prüfung zu unterziehen.
Wenn nun ein solcher Verdachtsfall auftauchen würde, dann würde es ein paar Tage oder Wochen dauern, um die notwendigen Bewilligungen zu erhalten und den Fall zu prüfen. In dieser Zeit müssten die Versicherungen ihrer Zahlungsverpflichtung weiter nachkommen. Fürchten die Versicherungen vielleicht in diesen Fällen fälschlich ausgezahlte Beträge nicht mehr zurückzubekommen?
Da die Zahlungen nicht an den Arbeitnehmer, sondern immer nur an den Arbeitgeber fliessen, kann die Versicherung eine solche Furcht aber nicht haben.
Ein solches Mass an Misstrauen ist nicht immer einer schnellen Genesung des Patienten dienlich. Ausser, dass der Patient sich krank zurück an den Arbeitsplatz schleppt. Ist es vielleicht das, was die Versicherungen wollen? Immerhin würde deren Zahlungspflicht erlöschen, zumindest temporär.
Kontrolle der Diagnose und Behandlung
Um rechtzeitig einer angeblichen Fehlentwicklung oder einem Fehler eines Arztes auf die Schliche zu bekommen, überwachen die Versicherungen Ihren Heilungsprozess.
„Wir, als Versicherer, müssen sicherstellen, dass Ihnen genau die Behandlungsmethoden zukommen, die Ihnen eine möglichst schnelle Rückkehr an Ihren Arbeitsplatz erlaubt. Wir können Behandlungsmethoden vorschlagen, die Ihr Arzt noch nicht in Betracht gezogen hat. Hierzu müssen wir natürlich Ihre Diagnose und Ihre Behandlungen kennen.“
Fragen Sie sich jetzt, warum der Patient überhaupt noch zum Arzt muss, wenn die Versicherung doch zu wissen scheint, was das Beste für den Patienten ist? Er könnte doch direkt zur Versicherung gehen und der Krankenversicherung viel Geld sparen.
Die Versicherung gibt vor, dass es zum Besten des Patienten ist, aber in Wirklichkeit will sie so schnell wie möglich heraus aus ihrer Zahlungsverpflichtung.
Fazit
Generell gilt, dass weder der Arbeitgeber noch Lohnausfallversicherungen in der Regel einen Anspruch auf Einsicht in detaillierte Arztunterlagen haben. Ein Nachweis, dass jemand teilweise oder ganz arbeitsunfähig ist, muss grundsätzlich genügen.
Anspruch auf Einsicht in die vollständigen Berichte, Diagnosen und Einschätzungen etc. besteht somit nicht. Zu sagen ist, dass unbeschränkte Akteneinsicht nicht einmal die Krankenkassen haben. Der Arbeitgeber und der Versicherer haben jedoch Anspruch auf Auskunft, ob die Arbeitsunfähigkeit tatsächlich gegeben ist.
In der Schweiz könnte die vollständige Einsichtnahme in sämtliche Krankenakten durch eine Versicherung unter Umständen eine Verletzung der Persönlichkeitsrechte im Sinne von Art. 28ff. ZGB darstellen. Gleichzeitig ist ein Arbeitgeber gemäss Art. 328 OR verpflichtet, die Persönlichkeit seiner Arbeitnehmer zu achten und angemessen zu schützen.
Wenn unsere Gesetze es nicht erlauben, dass eine Krankenkasse, die Ihre Rechnungen bezahlen muss, oder der Arbeitgeber, dem Sie Ihre Arbeitsleistung vertraglich zugesichert haben, Einblick in die Details Ihrer Gesundheit erhalten, warum sollte es dann Versicherungen erlaubt sein, die ärztliche Schweigepflicht mit Füssen zu treten? Mit der oben beschriebenen Einwilligung könnte ein Arbeitgeber mittels der Versicherung vollkommen rechtens und mit ihrem Einverständnis die gesundheitlichen Daten ihrer Mitarbeiter von der Versicherung erhalten.
Wozu dieser enorme Hunger an intimen Daten? Mit mehr Daten können Versicherungen allfällige zukünftige Risiken besser berechnen. Sie erinnern sich vielleicht an die obige Einwillungserklärung, in der steht, dass die Versicherung Ihre Daten an „…andere beteiligte Privatversicherungen…“ weitergeben will? Was bedeutet „beteiligt“ genau? Es kann unter anderem „an dem Fall beteiligt“ oder „unternehmensmässig über eine Beteiligung verknüpft“ bedeuten. Was bedeutet in der Einwilligung „…berufliche Vorsorgeeinrichtungen…“? Nun ja, das wäre jede Versicherung, die eine berufsbezogene Versicherung anbietet.
Was ist hier in unserer Rechtssprechung schief gelaufen? Wie konnten wir das Recht so aushebeln lassen? Oder bewegen sich die Versicherungen auf rechtlich dünnem Eis?
Tipp
Übernehmen Sie Verantwortung für sich und die Kontrolle über Ihre Daten. Sie dürfen die Einwilligung so abändern, streichen und anpassen, wie Sie es für richtig erachten. Letztendlich schreibt die Versicherung, dass Sie die Einwilligung unterschrieben retournieren müssen. Sie schreibt Ihnen nicht vor, wie der Wortlaut zu sein hat, den Sie unterschreiben. Schreiben Sie Ihre Änderungen auf die Einwilligung, nicht auf ein Beiblatt! Vergessen Sie die neuen Datenschutzgesetze nicht, nach denen Sie nach Art. 63 EU-DSGVO das Recht auf Einsicht haben, sofern es sich um eine Versicherung handelt, die in der EU beheimatet ist. Beschränken Sie aber auf jeden Fall, welche Organisationen Ihre Daten sehen und speichern dürfen. Limitieren Sie auch den Speicherort der Daten. Haben Ihre Daten erst einmal die Versicherung verlassen, der Sie eine Einwilligung erteilt haben, werden Sie Ihre Daten vermutlich niemals wiederfinden.
Sicher können Sie nicht sein, dass die Versicherung sich an Ihre Wünsche und Vorgaben hält. Aber sie weiss immerhin, dass sie unrechtmässig handeln würde. Und nach EU-DSGVO könnte dies für die Versicherung sehr teuer werden.
Disclaimer
Ich bin kein Anwalt. Dieser Text beschreibt nur eine Beobachtung und ist daher nur eine Meinung. Er darf daher nicht als rechtliche Beratung angesehen werden.