Kollegen berichten mir häufig, dass sie in ihrer Arbeit untergehen, anstelle in ihr aufzugehen. Sie erhalten kontinuierlich neue Aufgaben, die sie beginnen müssen, ohne die laufenden beenden zu können. Der stetig wachsende Stapel an unvollendeten Aufgaben erzeugt bei uns Menschen Stress und macht uns auf Dauer unzufrieden, denn wir wollen Aufgaben bestmöglich erledigen und diese abhaken dürfen.
Wir werden aber häufig am Erfolg gehindert und erleben nur noch selten das Glücksgefühl einer erledigten Aufgabe. Einige der Hauptgründe hierfür sind:
- Mehrere Auftraggeber. Es gibt mehrere Auftraggeber, die sich nicht untereinander abstimmen: Aufgaben werden vom Chef, Chef-Chef, von innerhalb oder ausserhalb der Hierarchie-Kette an uns herangetragen.
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Fehlende Priorisierung. Es existiert eine lange Liste ungeordneter Aufgaben, d.h. alle Aufgaben sind gleich wichtig und die korrekte Wahl der nächsten Aufgabe ist ein reines Glücksspiel.
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Zu grosse Aufgaben. Grössere Aufgaben werden als ganzes begonnen, anstelle diese in kleinere Aufgabenblöcke zu zerlegen, deren Erledigung einzeln betrachtet bereits einen Mehrwert für den Auftraggeber bieten würden.
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Häufige Änderungen der Aufgaben. Begonnene Aufgaben müssen unterbrochen werden, weil andere Aufgaben plötzlich als wichtiger deklariert werden.
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Fehlende Kommunikation. Bei einer vermeintlichen Erledigung einer Aufgabe stellt sich heraus, dass sie nicht mehr wichtig war, sie nicht richtig verstanden worden war oder sie schon längst hätte gestoppt werden sollen.
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Fehlender Erfolg. Aufgaben werden eigentlich nie vollständig beendet.
Kommen Ihnen eine oder mehrere dieser Gegebenheiten bekannt vor?
Scrum
Diese Gegebenheiten haben einige Software-Entwickler vor 20 Jahren bestimmt auch vorgefunden: Sie waren daher unzufrieden mit dem Ergebnis ihrer Arbeit. Weil sie wussten, dass sie bessere Arbeit leisten können, wenn nur die Rahmenbedingungen stimmen würden, begannen sie, die Rahmenbedingungen zu verändern.
Sie erfanden eine Methodik namens „Scrum„. Teams, die nach diesem Prinzip arbeiten, sind erfolgreicher und glücklicher! Ich bin der Meinung, dass alle anderen Menschen, Teams und Abteilungen eines Unternehmens die gleichen Prinzipien anwenden können, auch ohne Software zu entwickeln. Ich nenne das „Scrum für den Rest von uns“.
Scrum für den Rest von uns
„Scrum? Nie gehört“ oder „das ist doch nur für Software-Entwicklungs-Teams“ sind die ersten Antworten, die ich erhalte, sobald ich Scrum-Prinzipien zur Lösung alltäglicher Büroprobleme vorschlage. Warum Sie trotzdem über deren Einsatz nachdenken sollten, erfahren Sie hier.
Scrum geht die Hauptprobleme aller Teams an. Wie ich bereits in meinen früheren Blog-Posts „The product owner for the rest of us“ und „The biologic reasons behind Scrum“ geschrieben habe, suchen wir nach Strukturen, in denen wir uns erfolgreich fühlen können.
Obwohl Scrum von einer Teamgrösse von 7 bis 9 Personen ausgeht, bin ich der Meinung, dass man die Prinzipien abgewandelt auch in kleineren Teams oder bei Einzelpersonen anwenden kann.
1. Es gibt genau einen Verantwortlichen.
Der Verantwortliche ist der „Product Owner“ (PO). Er definiert die Aufgaben für das Team, das seine Aufgaben erledigt. Ein Team hat genau einen PO. Alle weiteren Auftraggeber, die etwas von diesem Team benötigen, müssen ihre Aufgaben bei diesem PO platzieren. Er priorisiert zusammen mit den anderen Auftraggebern die Reihenfolge der Wichtigkeit aller Aufgaben für das Team. Er ist sowohl der Innenminister für sein Team als auch der Aussenminister des Teams gegenüber den anderen Auftraggebern. Er steht Rede und Antwort über den Plan des Teams und den aktuellen Stand der Arbeitsprodukte. Die anderen Auftraggeber erhalten daher keinen Kontakt zu diesem Team.
Sie haben keinen Chef, der diese Aufgabe übernehmen will oder kann? Dann zeigen Sie Präsenz, werden Ihr eigener Product Owner und sehen ihren Chef als einen von vielen Auftraggebern an.
2. Der PO pflegt die Liste der Aufgaben.
Die geordnete Liste der Aufgaben ist jederzeit einsehbar. So sehen alle Auftraggeber, in welcher Reihenfolge die Aufgaben erledigt werden und das Team kann Vorschläge für eine noch optimalere Abarbeitung machen.
Es gibt keine Liste Ihrer Aufgaben? Dann erstellen Sie eine, machen Sie diese öffentlich und sprechen Sie über ihre Liste mit allen Auftraggebern, die etwas auf diese Liste bringen wollen. Kommt eine neue Aufgabe hinzu, dann fügen Sie diese unten an. Wenn jemand eine Aufgabe höher priorisieren möchte, prüfen Sie die Wichtigkeit der neuen Aufgabe gegen bereits vorhandenene.
3. Eine Aufgabe gilt als definiert, wenn die Mitglieder des Teams sie verstanden haben.
Wenn Menschen kommunizieren, gibt es Missverständnisse. Echte Kommunikation findet erst dann statt, wenn alle Beteiligten dasselbe von dem verstehen, was gesagt wird. Um sicherzustellen, dass alle Parteien dasselbe Verständnis von einer Aufgabe haben, definieren der PO zusammen mit dem Team für jede Aufgabe Kriterien, anhand derer eine Aufgabe als erledigt gelten wird.
Ihr Chef hat sowieso immer Recht? Dann sagen Sie ihm freundlich, dass das Team nur sicherstellen will, dass es die Aufgabe so gut versteht, wie er selbst.
4. Das Team schätzt die Grösse einer Aufgabe.
Erst wenn eine Aufgabe verstanden worden ist und die Abnahmekriterien definiert sind, kann das Team den Aufwand für die Bearbeitung einer Aufgabe schätzen. Schätzen ist aber keine exakte Wissenschaft. Es ist daher vollkommen ausreichend, zuerst nur in T-Shirt-Grössen S, M, L und XL zu denken. Solange eine Unstimmigkeit beim Schätzergebnis vorliegt, bedeutet dies, dass noch nicht alle Mitglieder dasselbe Verständnis von der Aufgabe haben.
Ihr Chef fragt nie nach Schätzungen? Ist es ihm denn egal, wie lange Sie für die Aufgabe benötigen und wie viel deren Bearbeitung kosten wird? Übernehmen Sie Verantwortung für Ihre Arbeit! Sagen Sie Ihrem Chef, unter welchen Rahmenbedingungen Sie bis wann eine Aufgabe erledigen können.
5. Es gibt eine feste Zeitspanne, in der das Team an Aufgaben arbeitet.
Der PO und das Team definieren eine feste Zeitspanne („Sprint“), in der das Team ungestört an Aufgaben bis zu deren Erledigung arbeiten können, ohne dass Aufgaben ab- oder unterbrochen werden oder neue Aufgaben hinzu kommen dürfen. Alle Aufgaben müssen aufwandsmässig so klein geschnitten sein, dass sie in einem Sprint durch das Team erledigt werden können. Ein Sprint ist in der Software-Entwicklung im Schnitt zwei, maximal vier Wochen lang. Er könnte theoretisch aber auch nur einen Tag umfassen. Das Team wird die optimale Dauer eines Sprints schnell identifizieren.
Sie sagen, dann würde Ihr Chef einen Tag wählen? Das wäre möglich, nur müsste er dann die (Teil-)Aufgaben infolgedessen so klein schneiden, dass sie in einem Tag erledigt werden können. Für diese Ebene des Mikro-Managements hat ihr Chef hoffentlich keine Zeit.
6. Das Team entscheidet, welche Aufgaben in einem Sprint erledigt werden können.
Der PO entscheidet, wie wichtig eine Aufgabe ist, aber das Team entscheidet, ob eine Aufgabe in einen Sprint passt. Damit übernimmt das Team die Verantwortung für deren Erledigung.
Ihr Chef befürchtet Kontrollverlust, wenn das Team Entscheidungen trifft? Dann zeigen Sie ihm, dass das Team eigenverantwortlich unter den definierten Rahmenbedingungen die Erledigung der Aufgaben garantieren kann.
7. Es wird ausreichend Zeit für das Unvorhersehbare eingeplant.
Der PO kann einen festen prozentualen Anteil der Arbeitszeit reservieren, um für Unvorhersehbares und Dringendes genügend Zeit zu haben. Dieser Prozentsatz reduziert selbstverständlich die verfügbare, planbare Zeit für den Sprint. Je mehr Zeit für das Unvorhersehbare reserviert wird, desto weniger geplante Aufgaben können durch das Team erledigt werden.
Ihr Chef würde dann 100% für Unvorhergesehenes einplanen? Dann ist er sicher Chef einer Hotline.
Kleinere Fehler früh, statt grosse Fehler später
Wenn Sie diese 7 Prinzipien anwenden, werden Sie ihre Aufgaben immer erledigen! Sie erhalten bei Teil-Aufgaben zeitiges Feedback und können früh Anpassungen vornehmen, sollte der PO oder ein weiterer Auftraggeber mit dem bisher Erreichten nicht zufrieden sein.
Sie mögen nun sagen, „das ist doch blanke Theorie, bei mir geht das nicht!“.
Aber warum soll es nicht gehen? Wünschen wir uns nicht einen Verantwortlichen, der entscheidet, was wichtig ist? Eine einzige Person, die uns für eine definierte Zeit konzentriert an einer Aufgabe arbeiten lässt? Würden wir uns nicht besser fühlen, wenn wir Aufgaben erledigen dürfen?
Ihnen fehlt dieser Verantwortliche, weil Ihr Chef sich mittel- und langfristig nicht festlegen kann oder weil er seinen Auftraggebern nicht die Wahrheit sagen will? Dann helfen Sie ihm dabei, priorisieren Sie gemeinsam und wählen mit ihm die nächsten Aufgaben aus. Und wenn er sich doch wieder umentscheidet? Dann sagen Sie ihm „Chef, wir hatten eine Vereinbarung getroffen, dass ich x Tage an dieser Aufgabe arbeiten soll, und Sie stehen doch zu ihrem Wort, oder?“